Soziale Gerechtigkeit durch mehr Umweltschutz: 50 Jahre „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden“

Veröffentlicht am 28.04.2011 in Allgemein

„Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden!“ Mit diesen für die eigenen Leute, den politischen Gegner und die Öffentlichkeit völlig überraschenden Worten erhob Willy Brandt 1961 Umweltschutz zum einem vorrangigen politischen Ziel der SPD. Weil es meist die sozial schlechter gestellten Menschen und vor allem deren Kinder waren und sind, die unter Umweltverschmutzung wie Schadstoffen und Lärm zu leiden haben. Für die SPD als „Anwalt der kleinen Leute“ war Umweltschutz stets Politik für mehr Lebensqualität. Das ist unsere besondere Motivation für Umweltschutz und Verpflichtung für sozialdemokratische Politik heute wie 1961.

„Erschreckende Untersuchungsergebnisse zeigen, dass im Zusammenhang mit der Verschmutzung von Luft und Wasser eine Zunahme von Leukämie, Krebs, Rachitis und Blutbildveränderungen sogar schon bei Kindern festzustellen ist. Es ist bestürzend, dass diese Gemeinschaftsaufgabe, bei der es um die Gesundheit von Millionen Menschen geht, bisher fast völlig vernachlässigt wurde. Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden!“ (Willy Brandt in einer Wahlkampfrede in Bonn am 28. April 1961) Willy Brandt hat damals – zunächst verspottet – die Sensibilität für ein Thema geweckt, in dem sich nach „Fresswelle“ und „Wirtschaftswunder“ die Schattenseiten des Landes auf dem Höhepunkt der Industrialisierung zeigten. Die damaligen Lebensbedingungen im Ruhrgebiet hatten gezeigt, dass sein Versprechen vom „Wohlstand für alle“ jedenfalls nicht für die galt, die unter den Staubfrachten aus der Kohle- und Eisenindustrie litten. Umweltschutz war und ist Teil einer intelligenten Sozialpolitik. Dieser „blaue Himmel über der Ruhr“ war dann auch eine zentrale Forderung im erfolgreichen Wahlkampf zur Bundestagswahl 1969. In seiner späteren Regierungserklärung hat Willy Brandt dem Umweltschutz einen besonderen Vorrang eingeräumt. 1970 folgte ein Sofortprogramm zum Umweltschutz und im September 1971 das erste Umweltprogramm einer Bundesregierung, in dem über einhundert Gesetze und Verordnungen angekündigt worden sind. So werden Lärmschutz und Luftreinhaltung seit 1974 durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz verbessert. Dem Natur- verbrauch werden durch das Bundesnaturschutzgesetz seit Ende 1976 Grenzen gesetzt. Seit 1971 gibt es den Sachverständigenrat für Umweltfragen („Umweltweise“) und seit 1974 wissenschaftlich fundierte Expertise durch das Umweltbundesamt. Auch wenn es ein von der FDP gestellter Innenminister war, der diese Gesetze ausführte: Der Anstoß zum Umweltschutz als Politik für mehr Lebensqualität und mehr soziale Gerechtigkeit war durch Willy Brandt und die SPD erfolgt! Heute bestreitet niemand mehr ernsthaft, dass Umweltschutz eine gute Investition in gesundheitliche Vorsorge und Lebensqualität darstellt. Alle Erfahrung zeigt: Beseitigung oder Reparatur bereits einmal eingetretener Schäden sind deutlich teurer als die Vorsorge – in vieler Hinsicht sind solche Schäden nicht mehr zu korrigieren und führen zu auch dauerhaften Lasten für alle nachfolgenden Generationen. Früh erkannten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch die internationale Dimension der Verbindung von Umweltpolitik und sozialer Gerechtigkeit. Willy Brandts Engagement für die Nord- Süd-Politik waren der Start für die Nachhaltigkeitsdebatten und die internationale Klimaschutzpolitik von heute. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen aus der Erfahrung unserer eigenen deutschen Geschichte, dass es immer die Schwächsten einer Gesellschaft sind, die unter der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen leiden. Dies ist die Grundlage unseres Handelns. Mit der Endphase sozialdemokratischer Regierungszeit kam eine Zeit ohne neue umweltpolitische Initiativen, die erst 1998 mit der neuen SPD-geführten Bundesregierung unter Gerhard Schröder endete. Wo die Regierung Kohl noch Jahre lang die Einführung des Katalysators verhinderte, waren es Sozialdemokraten wie Michael Müller, Ernst-Ulrich von Weizsäcker und Hermann Scheer, die mit Instrumenten wie der ökologischen Steuerreform und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz 1999/2000 ein neues Kapitel im Umweltschutz eröffneten. In der Großen Koalition ab 2005 konnte die SPD mit dem ersten sozialdemokratischen Umweltminister Sigmar Gabriel trotz anhaltenden Widerstands des Koalitionspartners diese Politik zum Konzept einer ökologischen Industriepolitik verbinden! Trotz aller Erfolge: Es bleibt noch viel zu tun! Seit 2009 haben CDU/CSU und FDP versucht, den Weg in eine vollständig auf dezentrale Erneuerbare Energien beruhende Industriegesellschaft zugunsten des Monopols der Energiekonzerne und der Beibehaltung der Atomenergie aufzuhalten. Die SPD hat zusammen mit der Zivilgesellschaft deut- lichen Widerstand geleistet. Der erneute Unfall an einem Atomreaktor in Folge der Naturkatastrophe in Japan zeigt, wie wichtig die Energiewende in Deutschland ist. Wir werden unseren Druck auf einen beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie und einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien verstärken. Durch eine massiv verbesserte Energie- und Ressourceneffizienz werden wir unsere industrielle Basis sichern und nachhaltig gestalten. Mit Niedrigenergiehäusern, sparsamen Geräten, einem ausgebauten öffentlichen Verkehr und hocheffizienten Autos werden wir Wohnen und Mobilität bezahlbar halten und dem Anstieg der Preise für endliche Ressourcen entgegenwirken. Damit erfüllen wir auch unsere internationale Verantwortung, weil wir unsere ambitionierten klimapolitischen Ziele erfüllen, die Nutzung der unbeherrschbaren Atomenergie beenden und einen nachhaltigen Pfad für die wirtschaftliche Entwicklung der Länder des Südens aufzeigen. Zugleich müssen wir uns aber auch wieder den scheinbar kleinen umweltpolitischen Aufgaben zuwenden, die noch heute unmittelbar die Lebensqualität von Menschen in unserem Land mindern. Dazu drei Beispiele:
  • Bei Lebensmitteln gibt es immer noch zu hohe Konzentrationen von Schadstoffen. Eine gesunde Ernährung muss aber auch für kleine Geldbeutel möglich sein. Wir wollen, dass gesund, sauber und „Bio“ keine Frage des Preises sind oder auf Premiumprodukte beschränkt bleiben. Auch die konventionelle Lebensmittelproduktion muss weniger schädliche Stoffe und fragwürdige Zusatzstoffe einsetzen, das haben die Lebensmittelskandale der letzten Jahre gezeigt.
  • Lärm ist das wohl am meisten unterschätzte Umweltproblem. Aber gerade Familien mit niedrigem Einkommen wohnen an lauten Straßen, Schienenstrecken und in Einflugschneisen. Kinder, die solchem Lärm dauerhaft ausgesetzt sind, sind nachweislich kränker und weniger leistungsfähig in der Schule. Ihnen werden schon früh Chancen genommen. Wir Sozialdemokraten haben 1999 ein Programm zur Lärmsanierung an solchen Strecken eingeführt, aber es würde bei der derzeitigen Geschwindigkeit noch Jahrzehnte dauern, nur eine leichte Minderung zu erreichen. Daher werden wir diese Lärmschutzprogramme deutlich ausweiten, mit Ordnungsrecht für leisere Flugzeuge und lärmärmere Reifen sorgen sowie die Umrüstung aller Güterwaggons in den nächsten fünf Jahren anstreben.
  • Feinstaub lässt vor allem Kinder krank werden. Und die höchsten Konzentrationen liegen in der Nähe von Industriegebieten und an Hauptverkehrsstraßen, wo in der Regel wieder Menschen mit niedrigem Einkommen wohnen. Daher unterstützt die SPD alle Anstrengungen, die Emission von Feinstaub zu mindern. Die Reinigung von Industrieabgasen gehört dazu, strenge Vorgaben für Heizungen, vor allem Holzheizungen, aber auch ein verlängertes Förderprogramm zur Umrüstung von Autos und Nutzfahrzeugen.
Luftreinhaltung, Lärmschutz, saubere Gewässer, gesunde Lebensmittel und funktionierende Ökosysteme sind Voraussetzung für Lebensqualität. Unser Ziel ist es, das dies nicht nur in den wohlhabenden Vierteln zu haben ist. Wir haben die Menschen im Auge, die in einfachen Wohngebieten leben. 50 Jahre nach Willy Brandt ist der Himmel über dem Ruhrgebiet längst wieder blau. Das ist Ansporn für große Ziele und viele kleine ambitionierte Maßnahmen in einer Umweltpolitik, die sich als Baustein für soziale Gerechtigkeit versteht. Quelle: SPD-Parteivorstand/Ulrich Kelber. Der Text ist auch als PDF verfügbar.
 
 

Homepage SPD Rhein-Neckar